Sylvia Plath – The Bell Jar (Die Glasglocke)

Im Angesicht dessen, dass die durch einige unsägliche Filme bekannt gewordene – und von mir dennoch irgendwie geschätzte – Julia Stiles dabei ist, eine Verfilmung der Glasglocke für 2008 zu produzieren und darin wohl auch die Hauptrolle zu übernehmen – letzteres eine Vorstellung, bei der ich doch eher schlucken muss -, seien hier meine Gedanken zum Buch von Sylvia Plath angeführt, die bereits auch anderswo nachzulesen sind, aber egal.
[Ich hatte gehofft, ich würde bei meiner Entlassung selbstsicher sein und genau wissen, was vor mir lag – schließlich war ich nun „analysiert“. Statt dessen konnte ich vor mir nur Fragezeichen erkennen.] [S. 261, Sylvia Plath, Die Glasglocke, suhrkamp taschenbuch 2854, Erste Auflage 1998] [Titel der Originalausgabe, The Bell Jar © 1963 Sylvia Plath, Neuübersetzung von Reinhard Kaiser] [ISBN 3-518-39354-5, 10 Euro, 262 Seiten]

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Der Bewusstseinszustand einer Gesellschaft zeigt sich am Verhalten ihrer Jugend. Das Verhalten der Jugend spiegelt sich seit inzwischen 100 Jahren vor allem in ihrer Kultur. Die Popkultur fängt Schwingungen und Reflexionen des Verhaltens auf, verstärkt sie und bildet sie ab. Diese Abbildungen werden von der Gesellschaft erneut aufgenommen und moduliert.

Die vorangehende Beschreibung suggeriert absolute Vorgänge. Die Realität stellt sich selten absolut dar, doch gibt es immer wieder universelle Einschnitte, die eine Jugend, eine Kultur, eine Gesellschaft beeinflussen. Die Glasglocke – The Bell Jar im Original – betrachtet ein weniger totales Geschehen: Die Gesellschaft: Amerika, Vereinigten Staaten, Westliche Welt; die Zeit: Mitte des 20. Jahrhunderts, 1953; die Jugendliche: Esther Greenwood, 20 Jahre alt; das Medium: Sylvia Plaths einziger Roman.

Anspruch und Wirklichkeit des eigenen Lebens driften auseinander. Der eine möchte am liebsten einen Nobelpreis für Mathematik oder Literatur, scheitert jedoch entweder an den Denkstrukturen der Wissenschaft oder an der notwendigen Imagination. Andere streben in einem falschen übersteigerten Ehrgeiz nach dem perfekten Leben, einem Leben, das die eigene Wahrnehmung der Welt als vollkommenes Dasein suggeriert. Dieses Sein umfasst beruflichen Erfolg ebenso wie die glücklichste aller Beziehungen. Beruflicher Erfolg entspricht dabei gesellschaftlicher und medialer Anerkennung. Dies als ideal zu betrachten, entspringt nicht zuletzt der Gesellschaft, in der man lebt, dem eigenen sozialen Umfeld und der Rolle, die man hierin spielt, die einem aufgeprägt wird, die man wählt.

Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit muss einen nicht in die persönliche Isolation und Selbstunterdrückung lotsen. Sollte sie sich jedoch im persönlichen Scheitern überfallartig zeigen oder bereits die eigenen Anstrengungen erdrücken, so gibt es eine nicht vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit für einen Weg, der immer weiter abwärts führt in eine Spirale der Verzweiflung und Depression. Der Einfluss innerlich entstandener oder äußerlich beeinflusster Selbstzweifel darf dabei nicht unterschätzt werden. Des Weiteren erfolgt der Weg nach unten nicht unbedingt geradlinig. Eventuell fühlt der Betroffene emotionale Höhenflüge oder Phasen des normalen Wohlergehens.

Momente des Scheiterns, das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit im Angesicht bestimmter oder neuer Herausforderungen gehören zum Leben. Sie sollten in der Menschheitsgeschichte proportional zur Zahl der möglichen Herausforderungen zugenommen haben. Die sozialen Strukturen Familie und Freundschaft bieten in den meisten Fällen ausreichende Mechanismen sie abzufedern, möglichenfalls sogar neue Energie aus ihnen zu schöpfen. Im selben Moment bewirken gerade scheinbar funktionierende gesellschaftliche Verhältnisse mittels eines übermäßigen expliziten oder impliziten Drucks Reaktionen, die eine Abwärtsbewegung des Gemüts verursachen. Jedoch wäre es falsch anzunehmen, eine solche Entwicklung bedürfe überhaupt entsprechender sozialer Umstände. Selbst ein perfektes Umfeld sichert nicht das Auffangen beim Stolpern oder Sturz. So bedingen Anspruch und Intensität des Schiffbruch Erleidens die persönliche Reaktion darauf.

Welches Scheitern, welche Ansprüche und welche mangelnde Struktur Sylvia Plath, Lyrikerin und Autorin der Glasglocke, dazu trieben, ihrem Leben kurz nach Veröffentlichung ihres einzigen Romans ein Ende zu setzen, mag und kann ich nicht bewerten. Das Buch durchdringt jedoch eine sprachliche und gedankliche Klarheit, die eine Parallelität der Ereignisse und des Erlebens zwischen Geschichte und Leben der Autorin nahe legen, was ihre Biographie bestätigt. Diese Nähe beginnt deutlich in dem angesprochenen Auseinanderliegen und -streben von Vorstellung und Realität des Lebens, führt über die (un-)bewusste Krankheit und spart das Ende aus. Plath beschreibt die Realität ihrer Protagonistin mit einer für den Leser schmerzhaften Plastizität. Erscheint die erste Hälfte noch als popliterarische Schilderung des Lebens in den USA in den 1950ern im Allgemeinen, so startet nachfolgend die seelische Abwärtsspirale, die uns mitreißt und ausgelaugt zurücklässt.

Die offenbaren Parallelen zwischen Leben und Geschichte verleiten dazu, die aus der Geschichte entstehenden Erklärungsmöglichkeiten ebenfalls direkt auf Plaths Leben zu übertragen. Die darin liegende Gefahr der übermäßigen Vereinfachung ist offensichtlich. Geschickter erscheint es, diese Muster als Ergebnisse der Selbstreflexion der Autorin zu verstehen, die eine mögliche Interpretation darstellen. Dabei spielt natürlich die persönliche Lesart des Rezipienten eine Rolle.

[Eins: Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte. Bei dem Gedanken an Hinrichtungen wird mir immer ganz anders. Die Vorstellung, auf den elektrischen Stuhl zu kommen, macht mich krank, aber in den Zeitungen war von nichts anderem die Rede – glotzäugige Überschriften, die mich an jeder Straßenecke und an jedem muffigen, nach Erdnüssen riechenden U-Bahn-Schlund anstarrten. Es hatte nichts mit mir zu tun, und trotzdem ließ mich die Frage nicht los, wie es wäre, die Nerven entlang bei lebendigem Leib zu verbrennen.] [S. 7]

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Esther Greenwood glaubt ihrer Zukunft sicher zu sein. Ein erfolgreiches Studium, eine literarische Karriere und ein Ehemann, der sie liebt und als Frau und Künstlerin respektiert. Die Grundlagen dafür hat sie selber gelegt. In der Schule und im College erntet sie nur beste Noten. Die Ergebnisse der Schule sichern ihr ein privates Stipendium für das College. Ihre Leistungen am College sichern ihr ein Volontariat bei einer Mode- oder Frauenzeitschrift in New York. Die Erfahrungen hier sollen ihr den Einstieg in die Welt der Literatur vereinfachen.

Die Zeit in New York ließe sich für Esther auf zwei Weisen verbringen. Auf der einen Seite könnte sie das ihr gebotene Leben einfach genießen mit Feiern, Banketten und Premieren, sich vielleicht einen zukünftigen Ehemann suchen, ihr Leben langfristig sichern. Zudem oder stattdessen bietet die Arbeit die Möglichkeit durch Fleiß und Einsatz die Grundlage für eine journalistische Karriere zu legen, Kontakte zu knüpfen, die in einer späteren Berufstätigkeit dienlich sein könnten.

Entgegen ihrem Charakter oder ihrer Vergangenheit betritt sie weder den einen noch den anderen Weg. Sie lässt alle Möglichkeit an sich vorbei gleiten. Nachdem zu Beginn durch unglückliche Umstände das eine oder andere in kleineren oder größeren Fehlschlägen endet und ihr von der Chefredakteurin die eigene Ziellosigkeit verdeutlicht wird, fokussiert sie sich voll und ganz auf ein einziges Ziel. Eine Schreibwerkstatt bei einem bekannten, wenn nicht berühmten Autor findet in den Sommerferien statt. Von ihrer eigenen Bewerbung hierfür ist sie so überzeugt, eine Ablehnung ist unvorstellbar.

Am beruflichen Erfolg besteht für Esther kein Zweifel. Abweichend hiervon steht ihre Freundschaft oder Beziehung zu Buddy Willard. Seit der Kindheit mit ihm bekannt, entwickelt sich während ihrer College-Zeit eine Art von Liebe zu ihm. Eine Liebe, die vielfach eher wie eine Fixierung erscheint, wie eine Hoffnung, die von ihren beiden Müttern geplante Zukunft erfülle Esthers eigene Bedingungen an ihr Leben. Die Hoffnung Buddy werde sie und ihre Lyrik respektieren, sie lieben – körperlich und menschlich – und ihr als Ehemann zur Seite stehen. Doch immer mehr muss sie feststellen, er entspricht ihrem Bild wenig. Nicht nur hält er ein Gedicht für „einen Haufen Staub“ und stellt sich damit auf die Seite ihrer Mutter, die glaubt eine junge Frau brauche eine handfeste Ausbildung und dies sei am besten Stenografie, sondern er hintergeht sie – so empfindet sie es – sexuell. Er hat schon Erfahrung. Sie hat keine. Sie sparte sich für ihn auf, er wartete nicht. Die mehr empfundene denn erlittene Kränkung führt zu der verzweifelten Suche nach dem perfekten Mann für ihre eigene Entjungferung. Doch jeder Traumprinz in der Entfernung, verwandelt sich aus der Nähe in einen hässlichen Zwerg.

Ein hysterischer Zusammenbruch zum Abschluss ihrer Zeit in New York markiert eine Wende. Vielleicht besteht hier auch eine ernstzunehmende Zäsur in Esthers Leben. Auf der Feier, die sie am Abend besucht, wird sie fast vergewaltigt, doch wird nicht klar, ob sie diesen Moment fürchtet oder ihn als Befreiung von der Last der sexuellen Unberührtheit empfindet. Esthers Wahrnehmung wird provokativ nebenbei abgehandelt. Erst die Beschimpfung durch den Täter führt zu ernsthafter Gegenwehr.

[Ein kräftiger Wind hob mir das Haar vom Kopf. Unter mir hatte die Stadt ihre Lichter in Schlaf getaucht, die Gebäude waren verdunkelt wie zu einem Begräbnis.
Es war meine letzte Nacht.
Ich griff nach dem Bündel, das ich mitgebracht hatte, und zerrte an einem weißlichen Ende. Ein trägerloser Unterrock mit einem Gummiband, das im Laufe der Zeit seine Elastizität verloren hatte, schlappte mir in die Hand. Ich schwenkte ihn wie eine Parlamentärsfahne, einmal, zweimal … Der Wind griff nach ihm und ich ließ los.
Eine weiße Flocke schwebte hinaus in die Nacht und begann langsam zu sinken. Ich fragte mich, auf welcher Straße, auf welchem Dach sie zur Ruhe kommen würde.] [S. 122]

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Die Heimkehr aus New York nach Boston fällt mit der Ankunft der Antwort auf ihre Bewerbung für den Schreibkurs zusammen. Es hat nicht geklappt. Die Nachricht wirkt wie ein Verstärker. Bereits in New York zeigen sich in Esthers Verhalten und Erleben Zeichen der Überforderung. Es ist ein Stress, dem sie sich selbst ausgesetzt hat. Doch die Ablehnung steigert die psychische und physische Reaktion auf ihre Situation, auf die eigenen Ansprüche und die Realität.

Esther isoliert sich selbst, fühlt sich zumindest isoliert. Ein übersteigerter visueller Eindruck der eigenen Umgebung ist korreliert mit der verschwindenden Fähigkeit, die Empfindungen anderer Menschen festzustellen oder zu verstehen. Die Wahrnehmung der Welt reduziert sich auf das Betrachten von Bildern.

Der Versuch, die eigene Lebensplanung voranzutreiben, einen Roman zu schreiben, scheitert an der fatalen Einsicht, im Leben nichts zu kennen. So bedingen sich große und kleine Vorhaben und kleines und großes Scheitern auch in weiteren Bereichen. Die Verzweiflung über die mangelnden Fähigkeiten und Erfahrungen führen zu Schlaflosigkeit und dem Verlust der Handschrift. Das Gefühl gefangen zu sein, in einer immer enger werdenden Glasglocke, mit immer weniger eigenen Freiheiten führt zu einer schneller werdenden Abwärtsbewegung der Psyche. Der Weg hin zum Selbstmordversuch führt über Besuche bei einem gut bezahlten gelangweilten und überforderten Psychiater. Sein Ausweg für Esther lautet Elektroschocktherapie.

Eine Behandlungsmethode, die offenbar direkt in dem Entschluss mündet, sich umzubringen. Halbherzige undurchdachte Versuche gehen dem einen nahezu fatalen voraus. Die nachfolgende Einweisung in die Psychiatrie ist unausweichlich.

[„Nur keine Angst“, grinste die Krankenschwester zu mir herunter. „Beim ersten Mal ist jeder zu Tode erschrocken.“
Ich versuchte zu lächeln, aber meine Haut war steif geworden, wie Pergament.
Doktor Gordon befestigte zwei Metallplatten an beiden Seiten meines Kopfes. Mit einem Band, das sich mir in die Stirn einschnitt, schnallte er sie fest und gab mir einen Draht zu beißen.
Ich schloss die Augen.
Es trat eine kurze Stille ein, wie ein Atemanhalten.
Dann kam etwas über mich und packte und schüttelte mich, als ginge die Welt unter. Wii-ii-ii-ii-ii schrillte es durch blau flackerndes Licht, und bei jedem Blitz durchfuhr mich ein gewaltiger Ruck, bis ich glaubte, mir würden die Knochen brechen und das Mark würde mir herausgequetscht wie aus einer zerfasernden Pflanze.
Ich fragte mich, was ich Schreckliches getan hatte.] [S. 156]

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Sylvia Plaths einziger Roman stellt hohe Anforderungen an den Leser. Die zweite Hälfte ist sehr viel mehr als bloße Schilderung. Die Rezeption vor allem dieses emotional anspruchsvollen Romanabschnitts ist auf verschiedene Arten denkbar. Den einen Endpunkt des Spektrums markiert die kühle Lektüre ohne echte Auseinandersetzung mit dem Stoff, möglicherweise sich konzentrierend auf den schwarzen Humor, den auch die Autorin im Briefwechsel mit ihrem Bruder betont. Entgegengesetzt steht die – real existierende – Verweigerung gegenüber dem Stoff aus Angst vor der Wirkung, die das Lesen dieses Textes haben könnte. Im Bereich dazwischen kenne ich zwei Herangehensweisen. So besteht die Verlockung, Esther zu verachten oder gar zu hassen, für die Unfähigkeit ihren Platz im Leben zu finden, für die Wirkung, welche eine so profane Tatsache hat, wie das Auseinanderdriften von Lebenstraum und Lebenswirklichkeit. Es spräche hieraus wohl ein mangelndes Verständnis für die Situationen, in die einen die (post)moderne Welt stürzen kann und die unter bestimmten negativen Umständen eine unüberwindliche Herausforderung für die Psyche darstellen können. Hier missverstehe und missbrauche ich bewusst aber nicht bösartig die Gedanken eines anderen Autors. Die andere Möglichkeit, die denkbar ist und im Folgenden betrachtet werden soll, mag die erwähnte Verweigerung rechtfertigen.

Esthers Weg führt scheinbar zielstrebig nach unten. Dem Leser wird auch während ihrer Zeit in den geschlossenen, halboffenen und offenen Bereichen der psychiatrischen Anstalt wenig Anhalt gegeben, sie befände sich nachhaltig auf dem Weg der Besserung. Das Aufbäumen, die neuen Pläne scheitern zu allen Phasen so schnell, wie sie aufbrechen. Selbst wenn der Traum erst deutlich später zersplittert, erscheint es dem Leser, als habe daran kein Weg vorbeigeführt. Esthers dauernde Ansprüche an das Leben und die ebenso wiederkehrende Enttäuschung ihrer Wünsche, beleuchten das eigene Leben auf zwei Arten. Zum einen ergibt sich die Möglichkeit, die eigenen Ambitionen und Verwirklichungen positiv zu reflektieren. Vielmehr kann dies alles aber als Spiegel des eigenen Seins wirken, wobei hier der Spiegel eben nicht die Unterschiede hervorhebt, sondern den Eindruck einer originalgetreuen Abbildung vermittelt. Bestehen eigene übermäßige Vorstellungen, bzw. existiert ein eigener umfassender Lebensplan, der vermeintlich in Auflösung begriffen ist, so verschwimmen die Unterschiede zwischen Literatur und Realität. Die Auswirkungen, die das Scheitern auf Esther hat, erscheinen als Drohungen der eigenen Lebensrealität. Der Hass, die Verachtung richten sich in der Folge gegen sich selbst und münden in einer Verstärkung der eigenen Angst. Die Lektüre wird so zu einer gnadenlosen Betrachtung des eigenen Ich, selbst wenn diese realitätsfern sein kann. Esthers Erlebnisse in der Psychiatrie werden zu einer schwarzen Wolke für einen selbst.

Der Weg nach unten, der von Plath in Esthers Leben geschildert wird, führt aus der Mitte der Gesellschaft dort hin. Es bedarf keiner extremen Ereignisse, um ihn zu öffnen. Allein aus der sozialen und psychischen Geschichte entspringen Widersprüche zwischen eigenen Vorstellungen und eigenen Möglichkeiten, die ausreichen, um die Protagonistin hinab zu stürzen in einen immer schneller bewegenden Strudel. Die Figur des in verengender Bahn kreisförmig abwärts führenden Weges, entspringt dabei vor allem meiner Wahrnehmung. Plaths Darstellung, Esthers Erleben dominiert eher das Empfinden der betitelnden Glasglocke. Sie fühlen ein gläsernes Gefängnis, das sich verengt, während gleichzeitig die zum Leben nötige Luft herausgepumpt wird, eine Vernebelung aller Sinne setzt ein. Die Intensität ihrer Schilderungen und des Empfindens führt bei bewusster Lektüre unter den geeigneten Umständen zu einer Beeinflussung der Psyche des Lesers.

Dabei hilft auch nicht Esthers zum Teil makaber wirkende kühl trocken amüsierte Beobachtung ihrer Umgebung – von den Mitpatienten bis zu ihren Kontakten in der Außenwelt. Wahre Sympathie empfindet Esther nur noch für ihre behandelnde Ärztin. Sie erscheint ihr als Verwandte im Geiste in der Betrachtung der gesellschaftlichen/amerikanischen Realität ihrer Zeit.

Die Wirkung auf den Leser ist erstaunlich, bedenkt man die Entstehungszeit des Romans und das Jahr, in dem seine Geschehnisse stattfinden. Der Konflikt, der für Esther im New York des Jahres 1953 startet, zwischen oberflächlichem gesellschaftlicher oder ambitionierter beruflicher Karriere, dominiert die (post)moderne Gesellschaft. Die Medien treiben diesen Konflikt immer zu neuen Blüten. Eine der Interessantesten und Kritischsten ist sicherlich, die Wahrnehmung, eine gesellschaftliche Karriere gehöre mit allen Mitteln verfolgt. Wo Esthers Anspruch noch war, mit ihrer Lyrik Erfolg und Anerkennung zu erstreben, besteht der Anspruch ihrer heutigen Altersgenossen/-genossinnen vielfach darin, Aussehen und Stimme so lange zu trimmen und zu manipulieren, bis eine möglichst große Aufmerksamkeit gesichert ist. Dabei wird schrill mit schön verwechselt. Die anzustrebende erfolgreiche (berufliche) Karriere bildet den gesellschaftlichen Mittelpunkt nicht erst im Jahre 2005. Das Verfolgen und Erreichen eines ((Aus)Bildungs)Erfolgs in möglichst kurzer Zeit mit maximaler Zielstrebigkeit hat Götzenstatus erreicht.

Die Glasglocke in ihrer schonungslosen Darbietung sozialer und psychischer Realitäten mit den damit verbundenen Anforderungen an den Leser muss als verzehren de Lektüre bezeichnet werden – psychisch und intellektuell.

[Nach dem Abendessen war ich eingeschlafen.
Eine laute Stimme weckte mich. ,Mrs. Bannister, Mrs. Bannister, Mrs. Bannister, Mrs. Bannister.‘ Während ich aus dem Schlaf auftauchte, entdeckte ich, dass ich mit den Händen gegen den Bettpfosten trommelte und laut schrie. Schon hastete scharf umrissen und geduckt, die Gestalt von Mrs. Bannister, der Nachtschwester, ins Bild.
„Na, na, wir wollen doch nicht, dass da etwas kaputtgeht.“
Sie öffnete das Band meiner Armbanduhr.
„Was ist den los? Was ist passiert?“
Das Gesicht von Mrs. Bannister verzog sich zu einem kurzen Lächeln. „Sie hatten eine Reaktion.“
„Eine Reaktion?“
„Ja, wie fühlen Sie sich?“
„Komisch. Irgendwie leicht und schwebend.“
Mrs. Bannister half mir, mich aufzurichten.
„Jetzt wird es Ihnen besser gehen. Jetzt wird es Ihnen schon sehr bald besser gehen. Wollen Sie etwas heiße Milch?“
„Ja.“
Als Mrs. Bannister mir die Tasse an die Lippen hielt, ließ ich die Milch breit ausfächernd über meine Zunge laufen und kostete sie genüsslich, wie ein Baby seine Mutter kostet.] [S. 216]